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Von der Schwierigkeit, die richtigen Worte zu finden

Autorenbild: Brigitte HellerBrigitte Heller

Stigmatisierung von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung

Erfahrungsexpertin Michaela Lödler, Teammitglied der Lichterkette sowie Mitglied im Tiroler Monitoringausschuss, dazu: Psychische Beeinträchtigungen sind unsichtbar. Ungeschulte erkennen nicht (gleich), ob jemand betroffen ist oder nicht. Sie wissen nicht, was es bedeutet, mit einer Erkrankung zu leben, die das Leben auf verschiedenen Ebenen immens belasten und einschränken kann. Über psychische Beeinträchtigungen zu sprechen ist schwer wie belastend. Zu groß ist die Angst vor den Folgen. Kampagnen wie „Red‘ ma drüber“ von ganznormal.at oder Gut und selbst sind zwar gute Beispiele für gesellschaftliche Verantwortungsübernahme. Trotzdem schaffen wir es teilweise nicht einmal innerhalb von Familien, über psychosoziale Schwierigkeiten zu sprechen. Wieso ist dieses Thema so angstbesetzt, ja so stigmatisiert? Stigmatisierung ist die negative Zuschreibung von bestimmten Eigenschaften und Merkmalen wie z. B. psychisch krank, die dann mit bestimmten Verhaltenserwartungen verknüpft werden wie etwa Psychisch Kranke sind gefährlich, unheilbar, unberechenbar.“ Weil niemand mit solchen Eigenschaften in Verbindung gebracht werden möchte, folgt eine Abgrenzung zwischen wir (die Gesunden) und sie (die psychisch Kranken). Die Konsequenz ist Ausgrenzung und Statusverlust der betroffenen Personen. In den letzten Jahren werden unsere Schwierigkeiten und Problemlagen vermehrt in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert – insbesondere dank dem Mut betroffener Künstler_innen oder Sportler_innen, die ihre psychischen Beeinträchtigungen offenlegen. Doch gerade die mediale Berichterstattung, die Wert auf Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit legen sollte, wirkt sich oft negativ auf die Lebenswelt von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung aus. Gerne werden hier Gewaltverbrechen als Wahnsinnstaten betitelt, Verbrecher_innen als geistig abnorme Rechtsbrecher_innen oder Psychotäter_innen, die schlichtweg durchdrehen. Die gedankenlose Verwendung solcher Worte im Zusammenhang mit massiven Verbrechen führt zu Stigmatisierung von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung. Dass die erfolgten Taten unaussprechlich schrecklich sind, rechtfertigt nicht, dass mit diesen Bildern Menschen mit psychischer Beeinträchtigung als gefährlich darstellt werden. Problematisch ist auch die umgangssprachliche und mediale Verwendung des Begriffs Selbstmord für Suizid. Es ist zwar gut und unbedingt notwendig, über Suizidgedanken zu sprechen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Aber wichtig ist auch, wie man darüber spricht. Denn in Selbstmord steckt immer noch das Wort Mord und Mord verbinden wir mit einem Verbrechen. Hat jemand sich das Leben genommen, hat dieser Mensch nach dem katholischen Glauben ein Verbrechen am Leben begangen. Angehörigen gegenüber wird nicht selten geäußert, wie feige es doch ist, so sein Leben zu beenden. Dies führt dazu, dass Suizide und Suizidgedanken immer noch als Tabuthema gelten und Betroffene davon abhalten, sich entsprechend zu öffnen und Hilfe in Anspruch zu nehmen.


Psychisch beeinträchtigte Personen können ihr Gegenüber an seine Grenzen bringen, das ist für mich persönlich ein ganz wichtiger Punkt. Nichtbetroffene wissen oft nicht, wie sie mit bestimmten Situationen adäquat umgehen sollen. Wenn zum Beispiel jemand im Bus ein Selbstgespräch führt, oder wenn jemand die Narben an meinen Armen sieht, kommt es zu Abwehrhaltungen. Dahinter steckt keine böse Absicht, sondern das Stigma der psychischen Erkrankung[1]. Im persönlichen Umfeld machen Aussagen wie „Das ist doch nur eine Ausrede!“, „Du bist doch nur zu faul!“ oder „Reiß dich mal zusammen!“ Menschen mit psychischer Beeinträchtigung schwer, offen und ehrlich über ihre Probleme zu sprechen. Oft findet man sich in einem endlosen Rechtfertigungsdschungel wieder, sodass man sich lieber verstellt und versucht, keine Schwäche zu zeigen. Einer solcher Sätze, den ich oft zu hören bekam, war: „Geh doch an die frische Luft, dann geht es dir sicher besser“. Wenn es nur um die frische Luft gehen würde, mach ich ein Fenster auf und gut ist es. Wenn aber meine Erschöpfungszustände so stark sind, dass ich das Gefühl habe, eine Tonne an Gewicht liegt auf mir, bin ich froh, überhaupt bis ans Fenster zu kommen. Dennoch ist es unbedingt notwendig, miteinander zu sprechen und für solche Fälle gemeinsam kleine Schritte und Strategien zu entwickeln. Menschen mit psychischer Beeinträchtigung werden auf vielfältige Weise stigmatisiert. Die Folgen sind gravierend und betreffen alle Lebensbereiche. Sie reichen von Bildungslücken über schlechtere Chancen am Arbeits- und Wohnungsmarkt und geringerer Qualität in der Gesundheitsversorgung bis hin zur sozialen Isolation und gleiten in die Wohnungslosigkeit ab.

[1] Vgl. Nowotny, Gasser (2020): Stigma psychischer Erkrankung: Anti-Stigma-Aktivitäten in Österreich, in: „Behindert“ aufgrund psychischer Erkrankung, insbesondere in Zeiten von Covid-19, Österreichisches Komitee für Soziale Arbeit, Wien. Erschienen in der Stimme – Zeitschrift der Initiative Minderheiten, Ausgabe 123 / Sommer 2022, www.initiative.minderheiten.at



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