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Du hast zu funktionieren!

Autorenbild: Brigitte HellerBrigitte Heller

Wolfgang, weiteres Teammitglied der Lichterkette, erzählt von seiner eigenen Betroffenheit. Du hast zu funktionieren !

Wie oft habe ich nicht im Verlauf meines Lebens diesen Satz gehört ? Als wohlgemeinte Aufforderung, als Ansporn, aber auch als mehr oder minder unverhohlen ausgesprochene Drohung.

Eigentlich überrascht mich dieser Satz auch heute noch herzlich wenig. Von meinen Eltern bekam ich zwar großzügig Geld, aber herzlich wenig Liebe mit auf den Weg ins Erwachsenwerden. Welchem Kind wird das freudige Schicksal zuteil, dass es noch vor der Einschulung in die Volksschule eingetrichtert bekommt, es müsse „Akademiker“ werden, weil es ansonsten im Berufsleben zu nichts bringen werde (und auch eine Verehelichung mit einer „wohlhabenden“ Person nicht möglich sei – das ginge nur über Bildung).

Ich bin anders aufgewachsen als die meisten meiner Mitschüler. Der Umgang mit anderen Kindern wurde mir „verboten“, entweder weil diese kein sozialadäquater Umgang für mich gewesen wären oder mich ganz einfach in meinem Lerneifer bremsen würden.

Dass daheim nur dann wohlwollend aufgenommen wurde, wenn ich in der Schule wieder einmal „lauter Einser“ im Zeugnis hatte, passt da gut ins Bild, oder ?

Als ich meinen Magister der Rechtswissenschaften mit beträchtlich über dem Durchschnitt liegendem Erfolg machte, hatte ich viele Gratulanten. Die Gratulation meines Vaters ? „Na und, ich habe ihn Dir ja auch bezahlt“. Völlig zutreffend, aber kein „toll gemacht“, rein gar nichts. Als ich dann (schon lange Jahre berufstätig) meinen Doktortitel erhielt, merkte mein Vater kritisch an, dass mir dieser nicht unter den „Auspizien des Bundespräsidenten“ verliehen wurde. Eine Ehre, die in diesem Studienjahr keinem einzigen Studenten der Jurisprudenz zu Teil wurde.

Völlig klar – auch die Wahl meiner mit endloser Geduld versehenen Ehegattin stieß bei meinen Eltern nicht auf Euphorie – sie war eben nicht die wohlhabende Partie, auf die sie es angelegt hatten.

Jetzt alles alleine meinen Eltern und meiner Kindheit in die Schuhe schieben ? Kann ich so nicht sagen. Ich bin schon mit 14 von daheim „ausgerissen“, und habe dann bei meinem Freund, danach bei meiner Großmutter, und dann schon bei meiner damals noch zukünftigen Frau gewohnt.

Meine Eltern waren jedenfalls mit mir heillos überfordert – meine Mutter hochgradig schizophren; das Wagner-Jauregg-Spital in Linz war für über ein Jahr ihre zweite Heimat.

Das einzige „Glück“ als extrem früher Nestflüchter: Geld bekam ich fortwährend, und ich vermute, dass ich nur ob meines sehr großzügig bemessenen „Taschengeldes“ nicht auf die schiefe Bahn gekommen bin. Heute betrachte ich dies als eine Form von „Schmerzensgeld“, das ich von meinen Eltern erhielt. Vielleicht auch nur, damit diese ihr schlechtes Gewissen beruhigen konnten.

Hat all das meine Bipolarität ausgelöst ? Ja und nein.

Wahrscheinlich habe ich sie schon mein ganzes Leben in mir getragen, aber meine Kindheit und Jugend war wohl doch ein regelrechter „Booster“ dafür. Warum ich das so sagen kann ? Nun, meine Mutter wurde bereits in meiner Volksschulzeit eingeladen, mich einer schulpsychologischen Betreuung zuzuführen. Was sie natürlich nicht tat, sie war ja zu sehr mit sich selbst und wohl auch der eigenen Schizophrenie beschäftigt.

Übrigens – für meinen Vater war ich vor meiner Matura überhaupt nicht existent, erst als ich mein Studium aufnahm entstand bei ihm so etwas wie „Gesprächsbereitschaft“.

Jedenfalls, mit der Diagnose „Bipolar“ lebe ich seit 1994. Und damit meine ich lediglich die Diagnose; dass etwas nicht „passt“, verspürte ich schon in wesentlich jüngeren Jahren.

Wie dem auch sei, ich habe nun über 30 Jahre als Jurist in der öffentlichen Verwaltung gedient. Oder besser – im Sinne der Überschrift: Ich hatte trotz Bipolarität in einer für mich teilweise unerträglichen Außenwelt funktioniert. Trotz der dann schlussendlich amtlich festgestellten (begünstigten) Behinderung - eiserner Wille und Durchhaltevermögen, ein bis an die physischen und psychischen Grenzen gehender Einsatz: DU HAST ZU FUNKTIONIEREN ! Immer hämmerte es in meinem Kopf – und selbst heute noch, mit klarer Erkenntnis von meinem Krankheitsbild kommt der Zwang der Verpflichtung zu funktionieren noch immer in mir hoch. Und ich bin hoch hinausgekommen mit meiner Karriere, aber die dünne Luft einer leitenden Stellung gepaart mit Bipolarität besitzt die Eignung, vom stabilen Geradeausflug ins Trudeln überzugehen und dann in den Sturzflug zu kommen.

Klar, auf Dauer konnte das nicht gut gehen. Wenn man sich permanent überfordert – und noch dazu psychisch krank ist, wird das Leben zum Drahtseilakt. Gerade psychische Beeinträchtigungen sind noch immer Stigma, werden mit Abscheu betrachtet. Als Person verachtet. Alles Nicht-Normale ist eben Ab-Normal. Als ich meinem damaligen Chef – ich meine 1994 – meine gesundheitliche Situation darlegte, meinte er nur: „Herr Kollege, über so etwas spricht man doch nicht“.

Nein, verdammt, über so etwas muss gesprochen werden ! Alleine schon deswegen, um Betroffenen das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein, und ein wenig von der Angst zu nehmen, am Rande der Gesellschaft zu stehen.

Aber – wie ist es mir mit dem Funktionieren in dünner Luft ergangen ? Nach einem heftigen Benzodiazepinabusus habe ich es selbst für an der Zeit gefunden, meine ambulante psychiatrische Betreuung in eine stationäre umzuwandeln. 7 Wochen im Klinikum am Südgarten – also der Abteilung für Psychiatrie im AKH. Schon spannend, wenn man die beiden Bettentürme des AKH sieht, und ausgerechnet die Psychiatrie ist daneben angesiedelt, nur durch einen ganz schmalen Verbindungskorridor mit dem Haupthaus verbunden. Medizinisch gebotene Segregation anstelle von Inklusion ?

Über den Aufenthalt in einer psychiatrischen Station gibt es unzählige Berichte – meiner würde nur unwesentlich Neues dazu beitragen, deswegen äußere ich mich hier nicht umfassend. Ich muss aber doch bekennen, dass vor allem das Pflegepersonal dort wirklich außergewöhnlich war, zumindest in meinem Bereich. Ich fühlte mich umsorgt wie in einem Schweizer Privatsanatorium. Über den Rest möchte ich schweigen.

Gut dass es danach nach Rust zur Reha ging, wo viel Aufbauarbeit zu leisten war. Immer mit dem Ziel – ich habe zu funktionieren. Das war offenkundig so gut in meinem Gehirn eingebrannt, dass auch die beste Psychotherapie, die bemühteste Betreuung mich nicht von meiner work-work-balance abbringen konnte.

Doch, eines habe ich durch diese „Entgleisung“ gelernt: ich kämpfe nicht mehr gegen meine Erkrankung an, ich habe mich mittlerweile mit ihr arrangiert. Dies war eine bittere, zugleich aber heilsame und notwendige Lebenserfahrung.

Wie lebt man mit einer Erkrankung, für die es keine „Heilung“ gibt, außer einem Bombardement mit variierender Medikation ? An manchen Tagen so hervorragend, dass man meinen möchte, die Diagnose an einer psychischen Störung zu leiden sei ein eklatantes Fehlurteil aller minderbemittelten Psychiater, die man in seinem bisherigen Leben aufgesucht hat. An anderen Tagen anderen wiederum dermaßen betrüblich, dass sogar der Partner zur Belästigung wird. Bipolar, eben.

Wenn ich einen Statusbericht legen möchte: ich empfinde es als sehr wichtig für mich, noch immer „voll“ im Erwerbsleben zu stehen. Zwar nicht mehr ganz so hoch wie früher noch, aber in einer Funktion die mich „funktionieren“ lässt. Ich beachte die „roten Flaggen“ – also die Warnsignale, die ich als Rückmeldung von meinem Körper und meiner Seele bekomme. Gelingt nicht immer, aber ich werde besser. Ich investiere viel Zeit (und auch Geld) in meine mentale Gesundheit, was ebenfalls Kraft und Zuversicht bedeutet. Meine Urlaubsziele sind andere geworden. Nicht Sehenswürdigkeiten sondern Einsichten.

Was ich Menschen mit einem ähnlichen Schicksal mit auf den Weg geben würde:

Akzeptanz. Die Eigenakzeptanz bezüglich der Erkrankung. Sonst geht gar nichts. Stärke und Resilienz. Vorurteile in der Gesellschaft der sogenannten „Normalen“ sind leider „normal“ und werden es noch für einige Zeit bleiben. Gewissheit. Die Gewissheit, nicht alleine zu sein. Es gibt viele, die im selben Boot sitzen, ohne dass wir es wissen. Unsichtbare Passagiere im Weg durch den Nebel. Aber, wenn sich ein Passagier dem anderen gegenüber öffnet, ist dies ein befreiendes Erlebnis für beide. Offenheit. Die Offenheit, andere auf eine Erkrankung anzusprechen ist schwierig. Noch viel schwieriger stellt sich dies bei einer psychischen Erkrankung dar. Dennoch – wir als Betroffene haben das Recht, nicht nur bezüglich unserer Erkrankung Gehör zu finden, sondern auch ein Umfeld vorzufinden, das unseren Bedürfnissen entspricht.

Professionelle Hilfe aufsuchen. Wenn ein Zahn ausbricht, ist der Weg zum Zahnarzt nicht lustig aber geboten, und niemand wird den Kopf deswegen zu schütteln beginnen. Warum also den Weg zu doch immer besser werdenden psychiatrischen Einrichtungen scheuen – es ist keine Schande, dies zu tun !

Und noch als Nachsatz: Suizidgedanken. Ja, ehrlich, die gab es schon manches Mal. Derzeit verspüre ich aber kein Bedürfnis danach. Aber ebenso wenig verspüre ich das Bedürfnis nach einem langen Leben. Der Phasenakzeleration sei Dank.


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