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AutorenbildBrigitte Heller

(Über)Leben - ein individueller Weg

Meine Geschichte beinhaltet traumatische Lebenserfahrungen die, zusätzlich zu einer vermutlichen familiären Veranlagung, später zu einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung und wiederkehrenden Depressionen geführt haben. Für viele ist die emotional instabile Persönlichkeitsstörung besser bekannt unter „Borderline“. Der Begriff wird aber leider oft auch sehr abwertend verwendet. Meine Symptome sind sehr vielfältig und hängen stark mit meinem Stresslevel zusammen. Kern der Borderline-Störung ist die Schwierigkeit Gefühle zu steuern. Dies hängt damit zusammen, dass ich bereits in der Kindheit in meinem Umfeld viele Abwertungen sowie Gewalt erfahren habe und auf meine eigenen Gefühle nicht eingegangen wurde. Ich kann in einem Moment noch extreme Freude empfinden und in der nächsten Sekunde geht (zumindest innerlich) für mich die Welt unter. Negative Gefühle oder Belastungen sind so stark, dass ich körperlich unter Schmerzen leide. Eine starke und plötzlich auftretende innere Anspannung ist auch ein Hauptmerkmal der Borderline-Störung, diese kann ich jedoch oft gar keinem Gefühl zuordnen. Es ist für mich dann so, als würde ich buchstäblich auseinander gerissen. Da sind Gedanken im Kopf, ausgelöst durch Blicke oder einzelne Worte, die wie Autos auf einer Rennstrecke vorbei rasen und Stunden oder Tage lang nicht weggehen wollen. Andererseits kann ich mich oft aber auch überhaupt nicht spüren, habe sogar Schwierigkeiten eine kurze Nachricht zu verfassen oder Einkaufen zu gehen und bin einfach nur am „funktionieren“. Für mich bin ich dann sozusagen eine Hülle ohne Inhalt. Viele Menschen können sich diese Art von Erkrankung meist nicht einmal vorstellen. Im Gegenteil, es kommt auch oft zu Unverständnis oder Angst. Ich selbst habe aus Angst und Scham lange nicht über meine Erkrankung geredet. Besonders schlimm finde ich es, wenn so wie in meiner Familie, das Schweigen über die Vergangenheit, sowie die gemachten Erfahrungen, über Generationen neue Verletzungen hervor bringen. Heute weiß ich wie wichtig das reden über die Erkrankung ist und wie wichtig es ist die entsprechende therapeutische und medikamentöse Unterstützung zu bekommen.

Die Wurzeln meiner psychischen Erkrankung liegen bereits in meiner frühen Kindheit. Meine Heranwachsen war geprägt von Mobbing in der Schule und einem konfliktbeladenen familiären Umfeld. Die ersten 2 Lehrjahre sind rückblickend der Grund für mein Trauma im Arbeitsleben. In dieser Zeit nahm ich auch 30 Kilo ab und entfernte mich sehr stark von meiner Familie. Trotz extremer Belastungserfahrungen in der Familie, der Schule und schließlich in der Arbeit konnte ich dennoch Höchstleistungen erbringen. Ich habe die Schulpflicht sowie alle vier Klassen der Berufsschule mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen und die Lehrabschlussprüfung als Köchin und Restaurantfachfrau bestanden. Meine eigenen Erfolge konnte ich oft aber nicht oder nur kurz sehen.

Eine erste Diagnose (diese erfuhr ich aber erst viele Jahre später als ich die Berufsunfähigkeit beantragte - Anpassungsstörung im Sozialverhalten) und zeitweise Behandlung, bekam ich aber erst mit dem achtzehnten Lebensjahr. Auf Grund der familiären Situation habe ich die Therapien immer wieder abgebrochen. Eine durchgehende therapeutische Begleitung und medikamentöse Unterstützung erhielt ich dann erst mit 20 Jahren als ich von zu Hause ausgezogen war.

Mein Leben prägten 2 schwere psychische Zusammenbrüche mit entsprechenden stationären Aufenthalten im Alter von 22 und 28 Jahren. Mit 22 Jahren war meine Erkrankung so schwer ausgeprägt, dass ich sogar versucht habe mir das Leben zu nehmen. Zu der Zeit hatte ich das Gefühl es könne mir niemand mehr helfen und es gäbe auch überhaupt keine Möglichkeit meinen inneren Schmerz in irgendeiner Weise zu lindern. Zu diesem Zeitpunkt bekam ich das erste Mal die Diagnose emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Doch ich konnte damit weder was anfangen noch mich damit auseinandersetzten. Ich schaffte es oft nicht einmal in der Therapie zu reden – ich ging sozusagen einfach weg – war zwar körperlich anwesend und weinte, sah aber von außen auf mich drauf und war unfähig nur eine Silbe zu formulieren. Das hat zu viel Unmut bei Therapeutinnen und vor allem Spannungen in Therapiegruppen geführt. Im Jahr 2007 musste ich dann auf Grund meiner Erkrankung auch den Beruf wechseln und habe eine neue Lehre begonnen. Trotz enormer persönlicher Schwierigkeiten auf Grund meiner Erkrankung und struktureller Probleme im Betrieb schloss ich diese Ausbildung 2011 mit „ausgezeichnetem Erfolg“ ab.

Angespornt durch den erfolgreichen Lehrabschluss und tatsächlich auch durch meine Therapeutin traf ich die Entscheidung, mir meinen Traum, die Matura nachzuholen und zu studieren, doch noch zu erfüllen. Mein Perfektionismus und eine Verkettung von unkalkulierbaren Umständen führten dann im Herbst 2012 zu meinem zweiten schweren Zusammenbruch, Jobverlust und Riesen Angst vor einer Stipendienrückzahlung. Es folgten sieben Wochen Aufenthalt in der Psychiatrie Innsbruck. In denen ich noch irgendwie meine dritte Prüfung für die Studienberechtigung und damit die notwendigen Erfordernisse für die Stipendienstelle erfüllte. Danach 14 Wochen in der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg. Hier lernte ich, dass erste Mal, die Fülle an Therapieangeboten und Möglichkeiten wie Skills zur Selbstregulation kennen. Zu dieser Zeit war ich beim Sozialamt gemeldet, hatte für meine alte sowie die neue Stadtwohnung zu zahlen und keine Ahnung wie mein Leben weiter gehen soll. Ohne meine beste Freundin hätte ich das nie geschafft! Sie hat mir dann auch zu der großartigen Therapeutin verholfen die mir später maßgeblich im Umgang mit meiner Erkrankung half.

Mein persönlicher Weg zum Leben mit der Erkrankung beginnt mit der Empfehlung des AMS ich solle um Berufsunfähigkeit ansuchen, da ich alle dem AMS zur Verfügung stehend Ressourcen ausgeschöpft hatte. Ich lernte das Therapie nicht gleich Therapie ist und was „an sich Arbeiten“ wirklich bedeutet. Unsagbar froh war ich auch als ich, dass erste Mal, eine Einzelbegleiterin zur Seite gestellt bekommen habe. Sie hat mit mir Sozialtraining gemacht in dem wir gemeinsam an öffentliche Orte oder auch mal in ein Kaffee gegangen sind. Sie hat mir geholfen mich zu spüren durch alltagsnahe Achtsamkeitsübungen. Vor allem hat sie mir aber, das Gefühl gegeben ich bin OK so wie ich bin und ich darf auch mal NICHT funktionieren. Für mich eine wunderbare sowie neue Erfahrung.

Die letzten Jahre waren die Zeit meiner größten Entwicklungsschritte . Ich war zum Beispiel an der partizipativen Erarbeitung eines Gesetzes beteiligt. Habe dafür sogar als Spielerin an Theateraufführungen teilgenommen. In dieser Zeit habe unglaublich tolle Menschen kennen gelernt und extrem viel erlebt. Ich durfte mir auch einen Kinderwunsch erfüllen und denn Umgang mit Pferden lernen. Beruflich habe ich einen Wiedereinstieg geschafft und sogar geringfügig ein kleines Projekt geleitet. Leider habe ich das Projekt nicht über Corona retten können. Doch meine Erfahrungen aus den 4 Jahren, die ich Menschen mit Lernschwierigkeiten begleiten durfte, haben mich viel lernen lassen und mich auch reifer gemacht. Heute engagiere ich mich als Erfahrungsexpertin für die Endstigmatisierung von Betroffenen sowie den Aufbau eines Bewusstseins für psychosoziale Gesundheit.

Auch heute gibt es noch schwere Zeiten in denen Suizidgedanken in meinem Kopf auftauchen, doch ich habe gelernt damit zu Leben. Sie kontrollieren mich auch nicht mehr sondern ich konnte sie in mein Leben als Schutzfaktor integrieren. Inzwischen habe ich Freunde die mich mit all meinen Facetten kennen und lieben. Dass macht mich Stark und Glücklich. Familiär ist es für mich immer noch nicht leicht, jedoch gelingt es mir Stück für Stück besser mich von den Dramen in meiner Herkunftsfamilie abzugrenzen.



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